Nicht nur ein „Frauenproblem“

Koitale Inkontinenz

Unwillkürlicher Urinabgang beim Geschlechtsverkehr ist für Betroffene nicht nur unangenehm, sondern tritt auch viel häufiger auf als oft angenommen – bei beiden Geschlechtern! Doch selbst mit ihrem Arzt thematisieren diese Problematik nur die wenigsten. Mehr zur Prävalenz, Risikofaktoren und Behandlung – Wir haben die aktuellen Studien für Sie zusammengefasst.



Unterschätztes Tabuthema: Wer ist betroffen?

Jede 5. Frau (21 %) berichtet von koitaler Inkontinenz (KI) – zu diesem Ergebnis kam eine retrospektive Analyse britischer Urogynäkologen mit 2.312 Frauen. Bei 3 von 4 der Betroffenen tritt die KI beim Orgasmus und bei jeder zweiten während der Penetration auf. Beide Formen sind signifikant mit Symptomen der überaktiven Blase (ÜAB) und stressinduzierter Inkontinenz assoziiert.1 Das bestätigt auch eine internationale multizentrische Beobachtungsstudie: Bei mehr als der Hälfte (53,8 %) der 1.000 untersuchten Frauen mit Inkontinenzproblemen trat der unkontrollierte Urinverlust ebenfalls beim Geschlechtsverkehr auf.2

Genauer zeigt sich:

  • Risikofaktoren: BMI > 25 kg/m2, vaginale Entbindung, Multiparität, frühere Hysterektomie, Vaginalprolaps und entsprechende Operationen, stressinduzierte Inkontinenz und frühere misslungene Inkontinenz-Operationen.2
  • Frauen ohne Harninkontinenz haben nur selten eine KI.3 Denn während mindestens 1 von 4 der inkontinenten Frauen an einer KI leidet, wurde über dieses Symptom selten spontan berichtet.4
  • Wann die KI auftritt (Penetration, Orgasmus) lässt sich nicht auf die primär vorliegende Inkontinenzform (z. B. Druck, Stress) zurückführen.4

KI bei Männern – andere Ursachen?

Doch nicht nur Frauen, sondern auch Männer sind von KI betroffen – vorrangig nach Prostatektomie (20–64%).4 Dabei unterscheidet sich die Pathophysiologie der KI bei Männern nicht wesentlich von der der Frauen.5 Hauptursache ist eine stressinduzierte Inkontinenz.4 Häufig liegt ein verletzter Becken- oder Pudendusnerv, ein schwacher Beckenboden oder äußerer Schließmuskel oder auch eine Überaktivität im Detrusor-Muskel zugrunde.5


Folge: Der Sex fällt ins Wasser

Selbst wenn ein unkontrollierter Harnverlust nicht beim Geschlechtsverkehr auftritt, kann er das Sexualleben negativ beeinflussen. Studien zeigen, Frauen mit KI:6,7

  • sind mit größerer Wahrscheinlichkeit sexuell abstinent als „gesunde“ Frauen.
  • haben trotz einer ähnlichen Häufigkeit sexueller Aktivitäten weniger sexuelles Verlangen, sexuellen Komfort und sexuelle Befriedigung.
  • sind häufiger und schwerer von sexuellen Dysfunktionen betroffen.

In den meisten Fällen behandelbar …

Sowohl für Männer als auch für Frauen, die an KI-Symptomen leiden, gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten. Je nach Ursache der KI haben sich rehabilitative, medikamentöse und chirurgische Ansätze als wirksam erwiesen:4 Bei 80 % der Frauen mit urodynamisch nachgewiesener KI kann die Inkontinenz bei der Penetration durch eine Operation geheilt werden. 59 % der Frauen, bei denen die Inkontinenz aufgrund von Detrusor-Überaktivität während des Orgasmus auftritt, sprechen auf eine Behandlung mit Anticholinergika an.8,9


Koitale Inkontinenz

… aber gezielte Ansprache notwendig

Vielen Betroffenen ist es jedoch peinlich über ihre koitale Inkontinenz zu sprechen. Ergreifen Sie als Arzt die Initiative und sprechen Sie Symptome gezielt an. Denn die Frage nach sexuellen Störungen oder Erkrankungen ist häufig elementar für die weitere Diagnose. Der erste Schritt in der Sexual- und Inkontinenzanamnese lässt sich bereits im Wartezimmer angehen: Durch das Bereitstellen von Broschüren, Fragebogen oder Poster können Sie das Thema KI vorstellen.5 In der Aus-, Weiter- und Fortbildung spielt das Thema Sexualität immer noch eine untergeordnete Rolle. Die Berufs- und Landesverbände der Urologen und Frauenärzte bieten daher zertifizierte sexualmedizinische Fortbildungen an.




Quellen:
1 Gray T et al. Evaluation of coital incontinence by electronic questionnaire: prevalence, associations and outcomes in women attending a urogynaecology clinic. Int Urogynecol J (2018) 29:969–978.
2 Illiano E et al. Coital Incontinence in Women With Urinary Incontinence: An International Study. J Sex Med 2018;15:1456e1462.
3 Skoric V & Nale DJ. Relationship between different types of urinary incontinence and coital incontinence in sexually active women. Proceedings of the 21st World Meeting on Sexual Medicine. J Sex Med 2018;15:S123eS407.
4 Moutounaïck M et al. L’incontinence coïtale – Coital incontinence. Progrès en urologie (2018) 28, 515–522
5 Mendes M et al. Contemporary Review of Male and Female Climacturia and Urinary Leakage During Sexual Activities. Sex Med Rev 2018;6:16e28.
6 Felippe MR et al. What Is the Real Impact of Urinary Incontinence on Female Sexual Dysfunction? A Case Control Study. Sex Med 2017;5:e54ee60.
7 Duralde ER & Rowen TS. Urinary Incontinence and Associated Female Sexual Dysfunction. Sex Med Rev 2017;5:470–485.
8 Maravilla KR et al. Noncontrast dynamic magnetic resonance imaging for quantitative assessment of female sexual arousal. The Journal of Urology 2005;173:162–6.27.
9 Sommer F et al. Measurement of vaginal and minor labial oxygen tension for the evaluation of female sexual function. J Urol 2001;165(4):1181–4. 

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