Aut-idem-Regelung - mit Blick auf Europa

Aktuell ist sie kein politisches Thema. Jedoch wird sie immer dann aufs Tapet gebracht, wenn es Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gibt - die Aut-idem-Regelung. Zuletzt gab es im Januar dieses Jahres unter dem damaligen Gesundheitsminister Rauch einen erneuten, aber erfolglosen Vorstoß in diese Richtung. Gemäß Angaben der EMA wurden damals in 26 europäischen Ländern Engpässe bei Antibiotika gemeldet. Gründe dafür waren laut EU-Gesundheitskommissarin Kyriakides die ungewöhnlich frühe Zunahme von Atemwegsinfektionen in Europa im letzten Winter und unzureichende Produktionskapazitäten.

 


Der Begriff "Aut idem" bedeutet übersetzt aus dem Lateinischen wörtlich "oder das Gleiche". Damit erlauben Ärzt:innen den Apotheker:innenn, ein anderes, aber wirkstoffgleiches Medikament in gleicher Dosierung und Packungsgröße bei gleicher Indikation abzugeben.

Ursprünglich diente diese Zusatzregelung dazu, die Versorgung der Patienten sicherzustellen, auch wenn die Apotheke das im Rezept namentlich genannte Arzneimittel nicht vorrätig hat. Heute soll der Austausch des verschriebenen Medikaments durch ein wirkstoffgleiches Mittel Einsparungen bei den Arzneimittelausgaben im Gesundheitssystem bewirken.

Zusammen mit dem Druck auf Ärzt:innen, Generika zu verschreiben, und im innovativen Bereich hochwertiger Biologika wirkungsgleiche Biosimilars zu verordnen, wäre dies zusammen mit dem Preisband eine dritte Maßnahme, die nicht nur die Hersteller, sondern auch den Großhandel und die Apotheken finanziell belasten kann. Darüber hinaus wurde die erlaubte Differenz beim Preisband zwischen dem Höchstpreis der wirkstoffgleichen Arzneispezialität und dem Preis der günstigsten Arzneispezialität im Jahr 2023 von bisher 30% auf 20% verringert.


Uneinheitliche Situation in der Europäischen Union


In Europa gibt es in der Mehrzahl der Länder je nach soziokulturellem Umfeld eine Variante der Aut-idem-Regelung. Belgien, Frankreich, die Niederlande und Spanien haben die Aut-idem-Regelung bereits am längsten umgesetzt.

Im deutschen Gesundheitswesen ist eine Aut-idem-Regelung in Kraft. Apotheker:innen sind verpflichtet, bei einer Aut-idem-Verordnung ein Rabattarzneimittel abzugeben. Auf den heute zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen vorgeschriebenen Rezeptformularen sind vorgedruckte Aut-idem-Felder vorhanden, die Ärzt:innen ankreuzen müssen, wenn sie keinen Austausch des Medikaments erlauben möchten. Ein unverändert belassenes Aut-idem-Feld bedeutet automatisch "aut idem". Ursprünglich sollte das Feld angekreuzt werden, wenn der Austausch erlaubt werden sollte. Da Ärzt:innen diese Option jedoch kaum genutzt haben, wurde bereits 2002 eine Umkehrung der Bedeutung eingeführt: Nun ist der Austausch ausgeschlossen, wenn das Feld angekreuzt ist.

In der Schweiz ist ebenfalls eine Aut-idem-Regelung in Kraft, die im Vergleich zu Deutschland jedoch weniger streng ist und eine begrenzte Verschreibungsentscheidung für Apotheken ermöglicht. Die Regelung findet beispielsweise dann keine Anwendung, wenn Ärzt:innen von sich aus ein Generikum aus dem unteren Preisdrittel verschreiben.

Dänemark und Schweden gelten als traditionelle Wohlfahrtsstaaten mit nachgewiesenen Einsparungen, einer hohen Generikarate und etablierter Wirkstoffverschreibung. Die Erfahrungen mit der Aut-idem-Regelung in Europa werden vom österreichischen Sozialversicherungsträger1  insgesamt als zwiespältig beurteilt.


Probleme und Folgen für Patienten


Patienten mit Dauermedikation erhalten nun häufiger ihre Medikamente in anderen Verpackungen. Die Befürchtung, dass der Ersatz schlechter wirken könnte, kann die Therapietreue beeinträchtigen oder sogar Nocebo-Effekte auslösen. Geringfügige Unterschiede, wie z. B. eine nicht mehr teilbare Tablette, können insbesondere bei älteren oder fragilen Menschen zu gefährlicher Verunsicherung führen.

Auch Pulverinhalatoren, die insbesondere bei Atemwegserkrankungen wie Asthma und COPD verschrieben werden, müssen berücksichtigt werden. Da der Umgang und die Anwendung dieser Geräte sehr unterschiedlich sein können, sind erhebliche Anpassungsprobleme zu erwarten. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie hat dazu ein Positionspapier2 zur Aut-idem-Regelung veröffentlicht. Je nach Schweregrad der Atemwegserkrankung kann ein Ersatzartikel völlig unbrauchbar sein, da er beispielsweise nicht die erforderliche Saugkraft aufbringen kann.

Es gibt auch eine Gruppe von Medikamenten mit geringer therapeutischer Breite und Bioverfügbarkeit, bei denen eine genaue Dosierung3 erforderlich ist. Dazu gehören Schilddrüsenhormone, Immunsuppressiva, Herzglykoside und Phenprocoumon (Langzeit-Thrombose-Prophylaxe). In Deutschland gilt für diese Medikamente ein Austauschverbot.


Stakeholder sprechen sich gegen Wirkstoffverschreibung aus


Generikahersteller, die möglicherweise ein Interesse an der Regelung haben könnten, da sie die Originalpräparate der Konkurrenz ausschließen würde, sprechen sich gegen die Regelung aus. Sie stützen ihre Position mit aktuellen IQVIA-Marktstudien, die die beabsichtigte Einsparwirkung der Maßnahmen kritisch beleuchten. Es gibt auch eine einheitliche Meinung mit den bereits erwähnten Argumenten: Die Medikamentenpreise stehen bereits aufgrund des Boxensystems und des Preisbands unter erheblichem Druck. Weitere Einschränkungen wären nicht vorteilhaft. Eine Apotheke ist kein Discounter. Exzellente Beratung, ein ansprechendes Geschäftslokal und hochprofessionelles, freundliches Personal wären dabei nachhaltig gefährdet. Es ist weiterhin wichtig, die Entscheidungsfindung den Mediziner:innen zu überlassen.

Die österreichische Ärztekammer betont in laufenden Presseaussendungen4 die vielen Nachteile und den fehlenden Nutzen. Ein angeführtes Argument mit Bezug zur Apotheke lautet: "Es ist anzunehmen, dass Apotheken bei der Auswahl eines Arzneimittels wirtschaftliche Kriterien berücksichtigen und beispielsweise das Medikament mit der höchsten Gewinnspanne bevorzugt abgeben."

Schließlich ist auch mit dem Pharmaverband keine aut-idem-Regelung zu treffen. Die Pharmig argumentiert nüchtern, dass Ärzt:innen am Computer über Nichtlieferbarkeiten informiert werden könnten.

 

 

Autor: : Dipl.-Ing. Peter Binter, Konsulent für Pharmamarketing und Wirtschaftsingenieur für Technische Chemie

 

Quellen: 

1. Holzweber D. in: konsument.at/gesundheit-kosmetik/medikamente-generika
2. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie et al:Position paper to the aut idem substitution obligation on inhalators. Pneumologie. 2015 Apr;69(4):196-8.
3. "Critical dose" drugs. Aut-idem could cause problems here. MMW Fortschr Med. 2002 Jan 24;144(3-4):63.
4. www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200728_OTS0076/aut-idem-viele-nachteile-kein-nutzen

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