Warum Probiotika so populär geworden sind

Veröffentlicht am: 21.02.2023

Wir kennen sie alle, die Werbespots für Joghurt, Kefir und andere Milchprodukte - eifrig preisen sie den Gehalt von Probiotika an und wie gesundheitsfördernd diese doch seien. Probiotika, die Kleinstlebewesen, die unseren Joghurt, unseren Kefir oder unser Sauerkraut zu einem schmackhaften Fermentationsprodukt machen, sind sozusagen in aller Munde.

 

Doch verdienen Probiotika ihre Popularität?

Seit Jahrtausenden verwendet der Mensch Probiotika, seien es Bakterien oder Pilze, um Lebensmittel durch Fermentation haltbar zu machen. Dass unsere Nahrung durch dieses Konservierungsverfahren auch an Gesundheitswert gewinnt, ist erst in den letzten 100 Jahren ganz allmählich bewusst geworden. Dass dafür nicht der erhöhte Säuregehalt – man denke an den Spruch „sauer macht lustig“ – sondern die Kleinstlebewesen, die mit der fermentierten Nahrung in unseren Darm kommen, verantwortlich sind, ist eine Erkenntnis der letzten 2 Jahrzehnte. Schon seit geraumer Zeit weiß man, dass der menschliche Organismus von Billionen verschiedener Mikroorganismen (Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen) besiedelt ist. Dieser Mikrokosmos in unserem Körper wird als Mikrobiom bezeichnet. Man unterscheidet zum Beispiel ein Mikrobiom der Mundhöhle, der Haut und des Darmes. Das weitaus größte Mikrobiom ist das Darmmikrobiom. War die medizinische Forschung früher primär damit beschäftigt, krankmachende (pathogene) Bakterien und Pilze zu erforschen und mit Antibiotika zu bekämpfen, so erforscht man nun zunehmend den gesundheitsfördernden (probiotischen) Anteil unserer Mikrobiome. Der Begriff „Probiotikum“ ist in der medizinischen Forschung geradezu ein Modewort geworden: Beschäftigten sich im Jahr 2000 weltweit nur 212 wissenschaftliche Publikationen mit dem Thema Probiotika, so waren es im Jahr 2021 bereits 5310 Veröffentlichungen.


Was diese Forschungsergebnisse gebracht haben

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass probiotische Mikroorganismen nachweisbar auch bei schwerwiegenden Erkrankungen helfen können. Ein Paradebeispiel dafür ist die Therapie der Clostridiencolitis, einer Entzündung des Dickdarms, die durch das Bakterium Clostridioides (früher: Clostridium) difficile verursacht wird. In jeder Gebrauchsinformation eines Antibiotikums können wir den Hinweis auf diese schwere, manchmal tödlich verlaufende Erkrankung finden, wenn da etwa steht: „Konsultieren Sie Ihre ÄrztIn sofort bei schweren, blutigen und anhaltenden Durchfällen!“. Der Krankheitserreger ist gegen die meisten Antibiotika unempfindlich und beginnt sich schlagartig zu vermehren, wenn die „guten“ Bakterien unseres Darmmikrobioms durch das Antibiotikum dezimiert werden. Bei Patienten, die diese Erkrankung einmal hatten, kann sie immer wieder auftreten. Die Forschung hat gezeigt, dass man die Clostridiencolitis durch die Transplantation des Mikrobioms eines/r gesunden Spenders:in sehr erfolgreich behandeln kann.



 

Das probiotische Mikrobiom wird dabei aus dem Stuhl der Spender:innen durch Filtration und andere sorgfältige Reinigungsprozesse gewonnen und als Kapseln verabreicht. Klingt nicht appetitlich? Nun, der durchschlagende – oft lebensrettende – Erfolg dieser probiotischen Therapie gibt ihr recht: Sie hat eine Erfolgsrate von rund 90% gegenüber nur 35% bei der althergebrachten Eradikationstherapie, bei der man versuchte, den Keim mit spezifischen Antibiotika zu bekämpfen.
Dieser positive Einfluss von Probiotika auf die Darmflora hat dazu geführt, dass viele Ärzt:innen empfehlen, bei jeglicher antibiotischer Therapie vorsorglich Probiotika als Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen oder Nahrungsmittel zu verzehren, die reich an Probiotika sind. Auch bei der Behandlung des zwar nicht gefährlichen aber überaus beeinträchtigenden Reizdarmsyndroms wird oft ein Behandlungsversuch mit Probiotka empfohlen.
Aber auch außerhalb des Darmes kann eine probiotische Darmflora durch ihre Stoffwechselprodukte und als Gegenspieler von potentiell schädigenden Darmkeimen ihre positive Wirkung auf die Gesundheit entfalten: Bei der schon zur Volkskrankheit gewordenen Vorstufe des Diabetes, dem Prädiabetes, verbessern Probiotika die gesamte Stoffwechsellage der Patient:innen: Sie senken nicht nur den HbA1c-Wert (ein Langzeitdiabetesparameter), sondern auch das Gesamtcholesterin, das „böse“ LDL und die Triglyceride.1
Forschungen haben sogar gezeigt, dass Probiotika vom Darm ausgehend, positive Wirkungen bei psychischen Problemen, wie chronischem Stress, Angststörungen und sogar Depressionen entfalten können. Mittlerweile hat sich ein eigener Forschungsschwerpunkt der Psycho-Mikrobiologie entwickelt und bestimmte Probiotikastämme aus der Gattung Lactobacillus und Bifidobacterium werden als „Psychobiotika“ ausgewiesen.2

Nicht nur das Mikrobiom des Darmes, sondern auch andere Mikrobiome, wie etwa das Mikrobiom der Vagina kann durch Probiotika vorteilhaft beeinflusst werden. In der Frauenheilkunde ist die vaginale Gabe von Probiotika bei bakterieller Vaginose (einer häufigen Infektion der Scheide) eine wichtige Therapiemöglichkeit.

Zusammenfassend haben fundierte Untersuchungen gezeigt, dass unser Mikrobiom einen elementaren Einfluss auf unsere Gesundheit hat und dass Probiotika in der Lage sind einen positiven Einfluss auf die Zusammensetzung unseres Mikrobioms zu nehmen. Also ist die Frage, ob Probiotika ihre Popularität und ihren Stellenwert für unsere Gesundheit verdienen, eindeutig mit „Ja“ zu beantworten. Eine Herausforderung in der Erforschung der Probiotika ist es jedoch, dass es von diesen nützlichen Kleinstlebewesen sehr viele unterschiedliche Stämme gibt, von denen manche mehr, manche weniger und manche gar nicht probiotisch wirksam sind. Die Frage nach der klinischen Wirksamkeit bei der Therapie verschiedener Erkrankungen wird in der Zukunft vielleicht nicht nur durch Erprobung einzelner Stämme sondern in der Erforschung der Artenvielfalt dieser kleinen Helfer zu lösen sein. 3

Priv. Doz. Dr. Andreas Entenmann, Oberarzt der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsklinikum Innsbruck

 

 

 


Referenzen:

[1] Li Y, Wu Y, Wu L, Qin L, Liu T. The effects of probiotic administration on patients with prediabetes: a meta-analysis and systematic review. J Transl Med 2022; 20(1): 498.

[2]Accettulli A, Corbo MR, Sinigaglia M, et al. Psycho-Microbiology, a New Frontier for Probiotics: An Exploratory Overview. Microorganisms 2022; 10(11).

[3] Lynch SV, Pedersen O. The Human Intestinal Microbiome in Health and Disease. N Engl J Med 2016; 375(24): 2369-79.


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